Seltene Editionen
March 2015 -
Bildbände, Ausstellungskataloge und Artverwandtes verschwinden meist nach ein- bis dreimaligem Durchblättern für immer im Regal. Gleichermassen verliert sich bei literarischen Werken spätestens mit Zuklappen des Deckels der Lautcharakter der Sprache. Die Rezensentin Erika Underwood verfügt über ein Kellermagazin, in dem Bücher aller Art bis zum jeweils nächsten Umzug eingelagert werden. Um diesem Schattendasein entgegen zu wirken, wurde die Reihe "Seltene Editionen: Buch des Monats" geschaffen.
Darin werden Bücher aus diesem Magazin kurz (oder noch kürzer) rezensiert, vornehmlich solche, die in kleinen Verlagen erscheinen und ihre Existenz in der Sammlung dem Umstand verdanken, dass die Rezensentin gerade irgendwo stand, wo es dieses Buch gab, oder es ihr von Autorin oder Künstler geschenkt oder irgendwie weitergereicht wurde.
Einmal pro Monat wird ein Buch online vorgestellt und ist physisch während der üblichen Veranstaltungen in der Bücherei und der Abteilung einsehbar. Literarische Werke werden von einer Lesung begleitet.
Eine Rezensionsreihe von Erika Underwood in der "Bücherei" des "Instituts für alles Mögliche"
Darin werden Bücher aus diesem Magazin kurz (oder noch kürzer) rezensiert, vornehmlich solche, die in kleinen Verlagen erscheinen und ihre Existenz in der Sammlung dem Umstand verdanken, dass die Rezensentin gerade irgendwo stand, wo es dieses Buch gab, oder es ihr von Autorin oder Künstler geschenkt oder irgendwie weitergereicht wurde.
Einmal pro Monat wird ein Buch online vorgestellt und ist physisch während der üblichen Veranstaltungen in der Bücherei und der Abteilung einsehbar. Literarische Werke werden von einer Lesung begleitet.
Eine Rezensionsreihe von Erika Underwood in der "Bücherei" des "Instituts für alles Mögliche"
Seltene Editionen (#12) - “Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute”
Juni 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Juni 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Politisch: Wehret den Anfängen!
"Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute"
Ausstellung (bis 31.07.2016) mit Katalog im Deutschen Historischen Museum
von Erika Underwood
Das Deutsche Historische Museum ist nun nicht gerade ein Ort für seltene Editionen, selten ist an Ausstellung und Katalog allerdings einiges: das umfangreiche, gut sortierte Material, die intelligente Darbietung, die gute wissenschaftliche Untermauerung, die kurzen, aber prägnanten Videos, und vor allem der Umstand, dass diese Ausstellung zum Handeln aufruft: nicht nur Sticker gestalten gegen den Rassenhass, sondern mit allen Mitteln dem wieder erstarkenden Rassismus entgegenwirken. Die Ausstellung setzt damit zum richtigen Zeitpunkt das richtige Zeichen.
Zunächst erstaunt es, dass das Minimalmedium "Aufkleber" schon seit so langer Zeit als politi-sches Mittel im Umlauf ist: seit dem Aufkommen dieser Druckerzeugnisse als Massenwerbemittel wird es von der politischen Propaganda vereinnahmt. Hier zuerst vom im 19. Jh. aufkommenden politischen Antisemitismus, der das Judentum zur "Rasse"macht, aber auch von der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika (Ein unbeliebtes Thema des Geschichtsunterrichts). Bereits nach dem ersten Weltkrieg erscheinen Hetzzettel gegen afrikanische Angehörige der Besatzungsarmeen (hier liegt der Akzent deutlich auf dem Schüren sexueller Ängste), es geht weiter mit Antisemitismus und Rassismus der Nachkriegszeit bis zu den zeitgenössischen Hasskampagnen gegen Flüchtlinge und Menschen aus der islamischen Welt. Eindeutig ist das Feindbild Nr.1 heute "der" Islam (worunter alles Mögliche subsumiert wird – es wird kein Unterschied gemacht zwischen Islamisten, Durschnittsmusliminnen oder Leuten, die einfach nur in einem islamischen Land geboren sind, womöglich noch Angehörige von Minderheiten und Opfern islamistischen Terrors), auch wenn weiterhin gegen Dunkelhäutige beliebiger Konfession, gegen Sinti und Roma und immer noch gegen Juden gehetzt wird. Die Ausstellung zeigt dabei auch deutliche Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, tödliche Traditio-nen: die "Judensau"des Mittelalters wird zur "Moslemsau" des 21. Jahrhunderts; "Freifahrkarten" von Deutschland nach Jerusalem des frühen 20. Jh. und der Nazizeit werden zu "Rückflugtickets" von Deutschland in die Herkunftsländer der Flüchtlinge. Zuordnung phantasierter Eigenschaften und Pauschalisierungen sind nach wie vor im Schwange: ein vermeintlich antiislamistischer Sticker zeigt eine durchgestrichene Moschee, nicht etwa eine IS-Flagge – die Moschee, hier Sym-bol für den Islam, wird zum Symbol für islamistischen Terror; vermeintliche Solidarität mit Palästina wird für antisemitische Hetze missbraucht, das Judentum als Gesamtheit mit Israel allgemein und zionistischem Extremismus im Besonderen gleichgesetzt.
Die älteren Hetzkleber erzeugen spontane Übelkeit durch ihre menschenfeindliche Darstellung von Minderheiten, die sie Tieren oder Gewürm gleichsetzen, das Entsetzen wird um so größer, wenn man realisiert, was aus dieser Geisteshaltung hervorgegangen ist. Die uns bisher bekannten rechten Zettel erscheinen im Vergleich dazu "harmlos": NPD Kleber könnten den Eindruck erwecken, die Hemmschwelle gegenüber Gewalt sei gestiegen. Man denke aber an die derzeit auch in den Medien beliebte Darstellung von auf Booten, in Zügen gedrängten Flüchtlingen – tierisches Gewimmel. Sieht man einige Stücke v. A. aus der Sammlung Irmela Mensah-Schramm, die direkt zur Gewalt bis hin zum Mord aufrufen oder hört man die Appelle von AfD und Pegida, betrachtet man die steigende Zahl rassistischer Übergriffe oder die österreichischen Wahlergebnisse, packt einen erneut das kalte Grausen. Der Katalog liefert Fakten zur rechten Gewalt in der BRD seit 1945.
Gleichzeitig zeigt "Angezettelt" aber auch die Gegenbewegungen auf, denn auch diese haben Tradition: wie entgegnet man einer Hetzparole mit Witz, Verstand und Argumentation? Und das Besondere ist, dass gleichzeitig zum Widerstand aufgerufen wird: es gibt eine Werkstatt, in der die Besucher_innen vor Ort Sticker entwerfen können, sie werden allgemein angeregt, sich über Mittel und Formen des Gegengifts Gedanken zu machen und diese weiterzutragen: Wehret den Anfängen!
Die Kunstszene, egal welcher Branche, könnte und sollte ihre speziellen Kapazitäten, erfinderischen, gestalterischen Fähigkeiten dazu einsetzen, eine wirkungsvolle und sichtbare Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Ausstellung noch bis Ende Juli, viel Zeit einplanen! Katalog einsehbar im Institut.
"Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute"
Ausstellung (bis 31.07.2016) mit Katalog im Deutschen Historischen Museum
von Erika Underwood
Das Deutsche Historische Museum ist nun nicht gerade ein Ort für seltene Editionen, selten ist an Ausstellung und Katalog allerdings einiges: das umfangreiche, gut sortierte Material, die intelligente Darbietung, die gute wissenschaftliche Untermauerung, die kurzen, aber prägnanten Videos, und vor allem der Umstand, dass diese Ausstellung zum Handeln aufruft: nicht nur Sticker gestalten gegen den Rassenhass, sondern mit allen Mitteln dem wieder erstarkenden Rassismus entgegenwirken. Die Ausstellung setzt damit zum richtigen Zeitpunkt das richtige Zeichen.
Zunächst erstaunt es, dass das Minimalmedium "Aufkleber" schon seit so langer Zeit als politi-sches Mittel im Umlauf ist: seit dem Aufkommen dieser Druckerzeugnisse als Massenwerbemittel wird es von der politischen Propaganda vereinnahmt. Hier zuerst vom im 19. Jh. aufkommenden politischen Antisemitismus, der das Judentum zur "Rasse"macht, aber auch von der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika (Ein unbeliebtes Thema des Geschichtsunterrichts). Bereits nach dem ersten Weltkrieg erscheinen Hetzzettel gegen afrikanische Angehörige der Besatzungsarmeen (hier liegt der Akzent deutlich auf dem Schüren sexueller Ängste), es geht weiter mit Antisemitismus und Rassismus der Nachkriegszeit bis zu den zeitgenössischen Hasskampagnen gegen Flüchtlinge und Menschen aus der islamischen Welt. Eindeutig ist das Feindbild Nr.1 heute "der" Islam (worunter alles Mögliche subsumiert wird – es wird kein Unterschied gemacht zwischen Islamisten, Durschnittsmusliminnen oder Leuten, die einfach nur in einem islamischen Land geboren sind, womöglich noch Angehörige von Minderheiten und Opfern islamistischen Terrors), auch wenn weiterhin gegen Dunkelhäutige beliebiger Konfession, gegen Sinti und Roma und immer noch gegen Juden gehetzt wird. Die Ausstellung zeigt dabei auch deutliche Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, tödliche Traditio-nen: die "Judensau"des Mittelalters wird zur "Moslemsau" des 21. Jahrhunderts; "Freifahrkarten" von Deutschland nach Jerusalem des frühen 20. Jh. und der Nazizeit werden zu "Rückflugtickets" von Deutschland in die Herkunftsländer der Flüchtlinge. Zuordnung phantasierter Eigenschaften und Pauschalisierungen sind nach wie vor im Schwange: ein vermeintlich antiislamistischer Sticker zeigt eine durchgestrichene Moschee, nicht etwa eine IS-Flagge – die Moschee, hier Sym-bol für den Islam, wird zum Symbol für islamistischen Terror; vermeintliche Solidarität mit Palästina wird für antisemitische Hetze missbraucht, das Judentum als Gesamtheit mit Israel allgemein und zionistischem Extremismus im Besonderen gleichgesetzt.
Die älteren Hetzkleber erzeugen spontane Übelkeit durch ihre menschenfeindliche Darstellung von Minderheiten, die sie Tieren oder Gewürm gleichsetzen, das Entsetzen wird um so größer, wenn man realisiert, was aus dieser Geisteshaltung hervorgegangen ist. Die uns bisher bekannten rechten Zettel erscheinen im Vergleich dazu "harmlos": NPD Kleber könnten den Eindruck erwecken, die Hemmschwelle gegenüber Gewalt sei gestiegen. Man denke aber an die derzeit auch in den Medien beliebte Darstellung von auf Booten, in Zügen gedrängten Flüchtlingen – tierisches Gewimmel. Sieht man einige Stücke v. A. aus der Sammlung Irmela Mensah-Schramm, die direkt zur Gewalt bis hin zum Mord aufrufen oder hört man die Appelle von AfD und Pegida, betrachtet man die steigende Zahl rassistischer Übergriffe oder die österreichischen Wahlergebnisse, packt einen erneut das kalte Grausen. Der Katalog liefert Fakten zur rechten Gewalt in der BRD seit 1945.
Gleichzeitig zeigt "Angezettelt" aber auch die Gegenbewegungen auf, denn auch diese haben Tradition: wie entgegnet man einer Hetzparole mit Witz, Verstand und Argumentation? Und das Besondere ist, dass gleichzeitig zum Widerstand aufgerufen wird: es gibt eine Werkstatt, in der die Besucher_innen vor Ort Sticker entwerfen können, sie werden allgemein angeregt, sich über Mittel und Formen des Gegengifts Gedanken zu machen und diese weiterzutragen: Wehret den Anfängen!
Die Kunstszene, egal welcher Branche, könnte und sollte ihre speziellen Kapazitäten, erfinderischen, gestalterischen Fähigkeiten dazu einsetzen, eine wirkungsvolle und sichtbare Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Ausstellung noch bis Ende Juli, viel Zeit einplanen! Katalog einsehbar im Institut.
Seltene Editionen (#11) - “Mein Leben als Soap”
Mai 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Mai 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Véronique Lambert "Mein Leben als Soap"
Selbstverlag 2015
von Erika Underwood
"Mein Leben als Soap" ist kein Buch im eigentlichen Sinne, auch wenn es ganz danach aussieht: im Stile französischer Broschuren gestaltet, ca. 80 Seiten dünn. Aber man wird bald bemerken, dass etwas fehlt, nämlich der Text. Es ist ein Leerbuch für Schreib*- und Lesefaule, es kann als Objekt, Platzhalter oder Notizbuch verwendet werden. Daneben ist es ideal für Personen, die Bücher gern als Meterware kaufen, ohne sich in irgendeiner Weise um den Inhalt zu scheren (leider erschien es nur in einer Auflage von 50 Exemplaren, was noch nicht mal einen halben Meter ergibt). "Mein Leben als Soap" – das auch im französischen Original "Ma vie en soap" vorliegt – unterscheidet sich vom klassischen Leerbuch, denn es enthält immerhin noch ein Vorwort zur Begründung der Leere. Die Identität der Autorin ist kryptisch, es gibt keinen Klappentext; zwar findet man unter dem nicht gerade seltenen Namen im Internet Ärztinnen, Therapeutinnen und Unternehmensberaterinnen, doch keine Schriftstellerinnen oder Künstlerinnen (in Brest gibt es immerhin eine Fotografin, Herausgeberin des Bildbändchens "Guide illustré des non-lieux de Brest"). Sollte es ein Pseudonym sein? Verbirgt sich dahinter Elisabeth de Beaumont (1929-59)? Schwer vorstellbar, wie sollte das Manuskript ins 21. Jh. gelangt sein? Auch die klassische Vortäuschung vermeintlich gefundener Schriften ist nicht vorhanden. Wir gehen davon aus, dass dieses Buch auf etwas anderes verweist. Anyway, das Buch liegt auf und kann im Institut käuflich erworben werden.
* Wieso schreibfaul? Ein Buch ohne Text verlangt keine lange Rezension. Immerhin ist diese Rezension bereits länger als das Vorwort, und selbstredend halten wir es für möglich, Rezensionen zu erstellen, deren Länge sich umgekehrt proportional zu der des Buches verhält, liesse sich doch mancher Wälzer mit einem Minimum an Worten abhandeln.
Selbstverlag 2015
von Erika Underwood
"Mein Leben als Soap" ist kein Buch im eigentlichen Sinne, auch wenn es ganz danach aussieht: im Stile französischer Broschuren gestaltet, ca. 80 Seiten dünn. Aber man wird bald bemerken, dass etwas fehlt, nämlich der Text. Es ist ein Leerbuch für Schreib*- und Lesefaule, es kann als Objekt, Platzhalter oder Notizbuch verwendet werden. Daneben ist es ideal für Personen, die Bücher gern als Meterware kaufen, ohne sich in irgendeiner Weise um den Inhalt zu scheren (leider erschien es nur in einer Auflage von 50 Exemplaren, was noch nicht mal einen halben Meter ergibt). "Mein Leben als Soap" – das auch im französischen Original "Ma vie en soap" vorliegt – unterscheidet sich vom klassischen Leerbuch, denn es enthält immerhin noch ein Vorwort zur Begründung der Leere. Die Identität der Autorin ist kryptisch, es gibt keinen Klappentext; zwar findet man unter dem nicht gerade seltenen Namen im Internet Ärztinnen, Therapeutinnen und Unternehmensberaterinnen, doch keine Schriftstellerinnen oder Künstlerinnen (in Brest gibt es immerhin eine Fotografin, Herausgeberin des Bildbändchens "Guide illustré des non-lieux de Brest"). Sollte es ein Pseudonym sein? Verbirgt sich dahinter Elisabeth de Beaumont (1929-59)? Schwer vorstellbar, wie sollte das Manuskript ins 21. Jh. gelangt sein? Auch die klassische Vortäuschung vermeintlich gefundener Schriften ist nicht vorhanden. Wir gehen davon aus, dass dieses Buch auf etwas anderes verweist. Anyway, das Buch liegt auf und kann im Institut käuflich erworben werden.
* Wieso schreibfaul? Ein Buch ohne Text verlangt keine lange Rezension. Immerhin ist diese Rezension bereits länger als das Vorwort, und selbstredend halten wir es für möglich, Rezensionen zu erstellen, deren Länge sich umgekehrt proportional zu der des Buches verhält, liesse sich doch mancher Wälzer mit einem Minimum an Worten abhandeln.
Seltene Editionen (#10) - “Glossar inflationärer Begriffe”
April 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
April 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
“Glossar inflationärer Begriffe”
von dilettantisch bis virtuos / ngbk
von Erika Underwood
Auf dem Büchertisch der ngbk gefunden: das Glossar inflationärer Begriffe:
dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / virtuos / vielversprechend / vernetzt / (un)cool / subversiv / schön / professionell / produktiv / performativ / prekär / nerdig / kreativ / kritisch / nerdig / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / inflationär / immateriell / genial / geklaut / erschöpft / emotional / dilettantisch / kommunikativ / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool Vernetzt / vielversprechend / virtuos / performativ / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell /inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un) cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / virtuos / vielversprechend / vernetzt / (un)cool / subversiv / schön / professionell / produktiv / performativ / prekär / nerdig / kreativ / kritisch / nerdig / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / inflationär / immateriell / genial / geklaut / erschöpft / emotional / dilettantisch / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / inflationär / inflationär / inflationär / inflationär / usw.
von dilettantisch bis virtuos / ngbk
von Erika Underwood
Auf dem Büchertisch der ngbk gefunden: das Glossar inflationärer Begriffe:
dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / virtuos / vielversprechend / vernetzt / (un)cool / subversiv / schön / professionell / produktiv / performativ / prekär / nerdig / kreativ / kritisch / nerdig / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / inflationär / immateriell / genial / geklaut / erschöpft / emotional / dilettantisch / kommunikativ / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool Vernetzt / vielversprechend / virtuos / performativ / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell /inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un) cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / virtuos / vielversprechend / vernetzt / (un)cool / subversiv / schön / professionell / produktiv / performativ / prekär / nerdig / kreativ / kritisch / nerdig / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / inflationär / immateriell / genial / geklaut / erschöpft / emotional / dilettantisch / dilettantisch / emotional / erschöpft / geklaut / genial / genial / immateriell / inflationär / kommunikativ / kreativ / kritisch / nerdig / performativ / prekär / produktiv / professionell / schön / subversiv / (un)cool / vernetzt / vielversprechend / virtuos / inflationär / inflationär / inflationär / inflationär / usw.
Seltene Editionen (#9) - “IM LAND DER DINGE”
March 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
March 2016
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Roger Fayet / Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen 2005
“IM LAND DER DINGE. Museologische Erkundungen.”
von Erika Underwood
Die Erinnerung krallt sich ans Artefakt.
IM LAND DER DINGE ist ein Buch, dass wir gerne selbst geschrieben hätten, wenn es uns nicht fix-fertig in die Hände gefallen wäre, erstanden für 6 Schweizer Franken im Ramschverkauf der Bibliothek der Kunstgewerbschule* Basel, zusammen mit einem anderen rezensionswürdigen Werk, dem "risikoblock". Herausgegeben vom Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen (CH), einer wilden Mischung aus Natur-, Heimat- und Völkerkundemuseum wie auch Kunst-sammlung, wohl auch dereinst aus einigen Wunderkammern hervorgegangen.
Die Autorin der vorliegenden Rezension verbrachte ihre Kindheit auf Fluren von Burgen und Schlössern, in Kirchen und Heimatmuseen, zwischen muffigen Dioramen mit unsinnigen Schautafeln, auf knarrenden Dielen bei schlechter Beleuchtung und stickiger Luft, vorbei an endlosen Reihen römisch-germanisch-keltischer Kelche, Fibeln und Öllampen, "Deep Storage"** vom Feinsten. Menschenleer, zwischendurch eine Schulklasse oder eine Touristengruppe, lange, lange Zeit vor dem Aufkommen der Museumseventkultur.
Die Abermilliarden von Artefakten, die Menschen im Laufe ihrer Geschichte hergestellt, gesammelt und zerstört haben, werden überall und zu allen Zeiten untersucht, kategorisiert, analysiert, um daraus ein Bild der Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren. Und es ist doch immer falsch: es fehlt immer ein Teil, ein Stück, ein Element, eine Funktion zum Bild des Gesamten. Gibt es überhaupt ein Gesamtes? Oder ist dies eine Fiktion wie die abgeschlossene Erzählung? Die Museen: Ansammlungen von Dingen und deren Anordnung, stets im Wandel. Immer fehlerhaft, immer lückenhaft, immer unwahr. Jede Zeit und jede Ideologie liefert durch Anordnung und Aufstellung ihre Sicht der Dinge. Eben gerade dieses, den bedingten Blick auf die Sammlung und ihre wechselhaften Interpretationen analysiert "Im Land der Dinge". Und illustriert es anhand 45 ausgewählter, völlig heterogener Museumsgegenstände vom Zahn eines winzigen Ursäugers, dem Mageninhalt eines Lammgeiers, einem missgestalteten Fötus in Formalin, über die unvermeidlichen Schilde und Fibeln, exotischen Kultfiguren und Schrumpf-köpfe zu Überwachungskamera, Videoinstallation und Museumsschrank. Anscheinend hat man sich in Schaffhausen nicht zum Ziel gesetzt, durch radikale Renovierungen die Museums- und somit die Rezeptionsgeschichte auszulöschen**, sondern gerade diese zum Thema zu machen. Ein Fundstück für die Jägerinnen und Sammler in der produzierenden Kunstwelt.
* Diese heisst heute nicht mehr so, aber lange Zeit noch war ihr Output recht kunstgewerblich, deshalb lassen wir es dabei.
**Deep storage : Arsenale der Erinnerung ; Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst ; [anlässlich der Ausstellung "Deep Storage - Arsenale der Erinnerung" im Haus der Kunst, München (3.8. - 12.10.1997), in der Nationalgalerie SMPK, Sonderausstellungshalle am Kulturforum, Berlin (Dezember 1997 - Januar 1998), im Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof (Februar 1998) und in der Henry Art Gallery, Seattle (Herbst 1998)] / hrsg. von Ingrid Schaffner
*** Jüngstes und grösstes Verbrechen dieser Art: "Musée de l'Homme" in Paris, 2015 in völlig entstellter Form wiedereröffnet
“IM LAND DER DINGE. Museologische Erkundungen.”
von Erika Underwood
Die Erinnerung krallt sich ans Artefakt.
IM LAND DER DINGE ist ein Buch, dass wir gerne selbst geschrieben hätten, wenn es uns nicht fix-fertig in die Hände gefallen wäre, erstanden für 6 Schweizer Franken im Ramschverkauf der Bibliothek der Kunstgewerbschule* Basel, zusammen mit einem anderen rezensionswürdigen Werk, dem "risikoblock". Herausgegeben vom Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen (CH), einer wilden Mischung aus Natur-, Heimat- und Völkerkundemuseum wie auch Kunst-sammlung, wohl auch dereinst aus einigen Wunderkammern hervorgegangen.
Die Autorin der vorliegenden Rezension verbrachte ihre Kindheit auf Fluren von Burgen und Schlössern, in Kirchen und Heimatmuseen, zwischen muffigen Dioramen mit unsinnigen Schautafeln, auf knarrenden Dielen bei schlechter Beleuchtung und stickiger Luft, vorbei an endlosen Reihen römisch-germanisch-keltischer Kelche, Fibeln und Öllampen, "Deep Storage"** vom Feinsten. Menschenleer, zwischendurch eine Schulklasse oder eine Touristengruppe, lange, lange Zeit vor dem Aufkommen der Museumseventkultur.
Die Abermilliarden von Artefakten, die Menschen im Laufe ihrer Geschichte hergestellt, gesammelt und zerstört haben, werden überall und zu allen Zeiten untersucht, kategorisiert, analysiert, um daraus ein Bild der Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren. Und es ist doch immer falsch: es fehlt immer ein Teil, ein Stück, ein Element, eine Funktion zum Bild des Gesamten. Gibt es überhaupt ein Gesamtes? Oder ist dies eine Fiktion wie die abgeschlossene Erzählung? Die Museen: Ansammlungen von Dingen und deren Anordnung, stets im Wandel. Immer fehlerhaft, immer lückenhaft, immer unwahr. Jede Zeit und jede Ideologie liefert durch Anordnung und Aufstellung ihre Sicht der Dinge. Eben gerade dieses, den bedingten Blick auf die Sammlung und ihre wechselhaften Interpretationen analysiert "Im Land der Dinge". Und illustriert es anhand 45 ausgewählter, völlig heterogener Museumsgegenstände vom Zahn eines winzigen Ursäugers, dem Mageninhalt eines Lammgeiers, einem missgestalteten Fötus in Formalin, über die unvermeidlichen Schilde und Fibeln, exotischen Kultfiguren und Schrumpf-köpfe zu Überwachungskamera, Videoinstallation und Museumsschrank. Anscheinend hat man sich in Schaffhausen nicht zum Ziel gesetzt, durch radikale Renovierungen die Museums- und somit die Rezeptionsgeschichte auszulöschen**, sondern gerade diese zum Thema zu machen. Ein Fundstück für die Jägerinnen und Sammler in der produzierenden Kunstwelt.
* Diese heisst heute nicht mehr so, aber lange Zeit noch war ihr Output recht kunstgewerblich, deshalb lassen wir es dabei.
**Deep storage : Arsenale der Erinnerung ; Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst ; [anlässlich der Ausstellung "Deep Storage - Arsenale der Erinnerung" im Haus der Kunst, München (3.8. - 12.10.1997), in der Nationalgalerie SMPK, Sonderausstellungshalle am Kulturforum, Berlin (Dezember 1997 - Januar 1998), im Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof (Februar 1998) und in der Henry Art Gallery, Seattle (Herbst 1998)] / hrsg. von Ingrid Schaffner
*** Jüngstes und grösstes Verbrechen dieser Art: "Musée de l'Homme" in Paris, 2015 in völlig entstellter Form wiedereröffnet
Seltene Editionen (#8) - “Morgenvogel Real Estate”
October 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
October 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Maria-Leena Räihälä / Manuel Bonik
“Morgenvogel Real Estate (MVRE)§”
von Erika Underwood
Was verbirgt sich hinter "Morgenvogel Real Estate"? Dem Namen nach eine Immobilienfirma, jedoch eine ganz besondere: sie bietet Zug- und anderen Vögeln Obdach, die durch die gnadenlose Berliner Immobilienspekulation, glatte Glas- und Stahlwände auf zusehends zugebauten Brachflächen keinerlei Möglichkeit mehr haben, zu nisten oder anderweitig unterzukommen. MVRE veranstaltet Happenings, Konzerte und Ausstellungen rund um Wohnungsnot und Vogelsang, auch zur Verbreitung der selbstgebauten Vogelnistkästen. All das ist auf's Schönste dokumentiert in einem Bild- und Textband, "Morgenvogel Real Estate", den wir ausnahmsweise nicht selbst mitgebracht, sondern beim Wühlen in der "Bibliothek" entdeckt haben, wo er uns einen Sonntagmorgen versüsst hat.
Zwischen den amüsanten Infotexten von Manuel Bonik und den federleichten Zeichnungen von Maria-Leena Räihälä (von der auch Installationen und Dekor stammen) erfährt man Einiges über die Materialien und Möglichkeiten des Nestbaus im Industriezeitalter von Helmut Höge, Erstaunliches über Prosodie des Pirolgesanges und der russischen Dichtung von Peter Berz (zur Zeit unseres Slavistikstudiums lag der Band leider noch nicht vor), und Erschütterndes über die Folgen einer Zeitungsente, für die der Autor Wolfgang Müller beinahe als Vogelschinder verhaftet worden wäre.
Alles in allem eine perfekte Mischung aus grossartigem Nonsens, brillianter Schreibe und subtiler politischer Kunst - didaktik-und moralinsäurefrei. Der Gedanke prägt sich ein, beim Anblick neu entstehender Glasstahlwüstenfriedhöfe wie z.b. dem Humboldtdingsda am Hauptbahnhof stellt man sich sofort die Frage "wie soll hier ein Vogel nisten oder ein Mensch atmen?" - auf den Punkt gebracht durch ein Graffiiti im Brüsseler Eurokratenviertel: "architecture necrogène". Die allseits bekannte Wohnungsrundmail von Manuel Bonik fügt sich in ein Gesamtkonzept - Nistplätze für Vögel, Wohnraum für Wanderer. Und man möchte natürlich SOFORT so einen Vogelnistkasten haben und die Idee weitertragen.
Es gibt sie noch, die Kästen, unter www.morgenvogel.net
*gegenstalt Verlag Berlin 2014, ISBN 978-3-9813156-2-2
“Morgenvogel Real Estate (MVRE)§”
von Erika Underwood
Was verbirgt sich hinter "Morgenvogel Real Estate"? Dem Namen nach eine Immobilienfirma, jedoch eine ganz besondere: sie bietet Zug- und anderen Vögeln Obdach, die durch die gnadenlose Berliner Immobilienspekulation, glatte Glas- und Stahlwände auf zusehends zugebauten Brachflächen keinerlei Möglichkeit mehr haben, zu nisten oder anderweitig unterzukommen. MVRE veranstaltet Happenings, Konzerte und Ausstellungen rund um Wohnungsnot und Vogelsang, auch zur Verbreitung der selbstgebauten Vogelnistkästen. All das ist auf's Schönste dokumentiert in einem Bild- und Textband, "Morgenvogel Real Estate", den wir ausnahmsweise nicht selbst mitgebracht, sondern beim Wühlen in der "Bibliothek" entdeckt haben, wo er uns einen Sonntagmorgen versüsst hat.
Zwischen den amüsanten Infotexten von Manuel Bonik und den federleichten Zeichnungen von Maria-Leena Räihälä (von der auch Installationen und Dekor stammen) erfährt man Einiges über die Materialien und Möglichkeiten des Nestbaus im Industriezeitalter von Helmut Höge, Erstaunliches über Prosodie des Pirolgesanges und der russischen Dichtung von Peter Berz (zur Zeit unseres Slavistikstudiums lag der Band leider noch nicht vor), und Erschütterndes über die Folgen einer Zeitungsente, für die der Autor Wolfgang Müller beinahe als Vogelschinder verhaftet worden wäre.
Alles in allem eine perfekte Mischung aus grossartigem Nonsens, brillianter Schreibe und subtiler politischer Kunst - didaktik-und moralinsäurefrei. Der Gedanke prägt sich ein, beim Anblick neu entstehender Glasstahlwüstenfriedhöfe wie z.b. dem Humboldtdingsda am Hauptbahnhof stellt man sich sofort die Frage "wie soll hier ein Vogel nisten oder ein Mensch atmen?" - auf den Punkt gebracht durch ein Graffiiti im Brüsseler Eurokratenviertel: "architecture necrogène". Die allseits bekannte Wohnungsrundmail von Manuel Bonik fügt sich in ein Gesamtkonzept - Nistplätze für Vögel, Wohnraum für Wanderer. Und man möchte natürlich SOFORT so einen Vogelnistkasten haben und die Idee weitertragen.
Es gibt sie noch, die Kästen, unter www.morgenvogel.net
*gegenstalt Verlag Berlin 2014, ISBN 978-3-9813156-2-2
Seltene Editionen (#7) - “Die Farben von la Palue”
September 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
September 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Andreas Kellermann
“Die Farben von la Palue”
von Erika Underwood
Die Farben von La Palue ist ein Tage- und Traumbuch, der Bericht über den allmählichen Untergang eines russischen Konzertpianisten, von dem Tag an, wo ihm ein mysteriöser, zigarillorauchender Mann mit einem schwarzen Hut am Strand von La Palue begegnet, der ihn zu verfolgen scheint. Vadim Tumarkin, so sein Name, ein Mann wahrscheinlich mittleren Alters auf dem Höhepunkt seiner Karriere, spricht mehr und mehr dem Alkohol zu, bricht eines Tages auf der Bühne zusammen und landet folglich in einer Klinik.
Getragen wird die Erzählung von den Tagebuchaufzeichnungen und lyrischen Traumvisionen, dazwischen geschoben sind Rezensionen, Briefe, Emails, Krankenberichte als Raster des Wirklichen. Während die dialogförmigen Passagen die Schwachstelle dieses Erstlingswerkes sind, erscheinen die Träume fugenartig perlende, angstvolle Visionen alltäglicher Szenen, eigenständige Kompositionen, die sich, wie auch die Tagebuchaufzeichnungen, durch die Musikalität der Sprache auszeichnen. Letztere vereinen Bemerkungen zu Musik, Literatur und allem Möglichen, quasi Randnotizen, witzige Kommentare zu Banalitäten, zum Psychiatriealltag, der zwischen sinnlosen Therapiegesprächen und Rundgängen im Klinikpark von Mahlzeiten, Medikamenten und dem Crescendo sorgfältig abgezählter Zigaretten getaktet wird. Angst wird Gestalt und Rätsel der Mann mit dem schwarzen Hut. Ist er eine Wahnvorstellung oder ein Todesbote, das absolute Gegenstück zum schönen Knaben aus dem "Tod in Venedig"? Wird er besiegt oder, wie die Schlussszene fürchten lässt, wird alles immer so weiter gehen?
Buecken & Sulzer Verlag, ISBN 978-3-936405-69-9
“Die Farben von la Palue”
von Erika Underwood
Die Farben von La Palue ist ein Tage- und Traumbuch, der Bericht über den allmählichen Untergang eines russischen Konzertpianisten, von dem Tag an, wo ihm ein mysteriöser, zigarillorauchender Mann mit einem schwarzen Hut am Strand von La Palue begegnet, der ihn zu verfolgen scheint. Vadim Tumarkin, so sein Name, ein Mann wahrscheinlich mittleren Alters auf dem Höhepunkt seiner Karriere, spricht mehr und mehr dem Alkohol zu, bricht eines Tages auf der Bühne zusammen und landet folglich in einer Klinik.
Getragen wird die Erzählung von den Tagebuchaufzeichnungen und lyrischen Traumvisionen, dazwischen geschoben sind Rezensionen, Briefe, Emails, Krankenberichte als Raster des Wirklichen. Während die dialogförmigen Passagen die Schwachstelle dieses Erstlingswerkes sind, erscheinen die Träume fugenartig perlende, angstvolle Visionen alltäglicher Szenen, eigenständige Kompositionen, die sich, wie auch die Tagebuchaufzeichnungen, durch die Musikalität der Sprache auszeichnen. Letztere vereinen Bemerkungen zu Musik, Literatur und allem Möglichen, quasi Randnotizen, witzige Kommentare zu Banalitäten, zum Psychiatriealltag, der zwischen sinnlosen Therapiegesprächen und Rundgängen im Klinikpark von Mahlzeiten, Medikamenten und dem Crescendo sorgfältig abgezählter Zigaretten getaktet wird. Angst wird Gestalt und Rätsel der Mann mit dem schwarzen Hut. Ist er eine Wahnvorstellung oder ein Todesbote, das absolute Gegenstück zum schönen Knaben aus dem "Tod in Venedig"? Wird er besiegt oder, wie die Schlussszene fürchten lässt, wird alles immer so weiter gehen?
Buecken & Sulzer Verlag, ISBN 978-3-936405-69-9
Seltene Editionen (#6)
August 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
August 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Johan de Wilde
“Ik wordt. Ein Puzzle.” Katalog zur Ausstellung in der “voorkamer”, Lier/Be 2013
von Erika Underwood
Ausstellungen verschwinden, Bücher bleiben
Vielleicht ist etwas riskant, für einen Projektraum in Deutschland, dessen Publikum vornehmlich Englisch spricht, ein Buch zu rezensieren, dessen Textteil vornehmlich auf Niederländisch (Flämisch)* gehalten ist. Da wir uns unter anderm hauptsächlich für Referenz interessieren, scheint dies das ideale Buch dazu (ausserdem enthält es auch Bilder und Passagen auf Deutsch, Englisch und Französisch). "Ik wordt" (in etwa "ich wird", 1. und 3. Pers. Singular zusammengeschweisst) war - d.h. ist immer noch - der Katalog zu einer Ausstellung, denn der Katalog ist noch da, doch die Ausstellung vorbei.
Johan de Wilde hatte ein Maximum an Personen - Künstler_innen und Nichtkünstler_innen - gebeten, sich über ihn bzw. seine Kunst zu äussern, in welcher Form auch immer. Die Antworten wurden in Ausstellung und Katalog veröffentlicht, Katalog und Ausstellung sind nicht deckungsgleich.
Soweit, so gut. Durch die Rezension ensteht natürlich das n-te andere Bild von Buch, Ausstellung, Bild und Künstler, deshalb
1) zitieren wir zunächst den Künstler und den von ihm zitierten Autor Georges Perec:
"Wie verhält sich 1 Kunstwerk bei anderen? Ich selbst bestehe aus einer Ansammlung von Bildern, die andere von mir haben, wodurch ich fortwährend jemand anders werde: bin ich mein Werk? Was genau macht der Betrachter beim Betrachten? Und danach? Wie entsteht ein Bild? Was sehen tausende von Besuchern der Sixtinischen Kapelle? Was erwarten sie zu sehen und warum sind sie da?
Diese und weitere Fragen stelle ich mir täglich, nicht auf der Suche nach einer Antwort: ein Mensch, der Fragen bestätigt und Bestätigungen in Frage stellt….." Johan de Wilde
"… und kaum hat man es geschafft, nach minutenlangen Versuchen und Irrtümern, oder einer wunderbaren Sekunde der Inspiration, das Teil an eins der Nachbarstücke zu reihen, verschwindet es wieder, hört auf, als Teil zu existieren…." Georges Perec
2) überlassen wir es Betrachterinnen und Lesern, sich ihr eigenes Bild von Johan de Wilde, dem reflektierten Bild und den endlosen Puzzlestücken, stets neu zusammenfügbar, zu machen.
Noch bis Ende September in der Bücherei einsehbar, es handelt sich um eine Leihgabe. Niederländisches Wörterbuch wird zur Verfügung gestellt.
* Zu glauben, NL sei für Personen dt Muttersprache leicht erlernbar, ist ein Irrtum, allein schon wegen der zahlreichen sog. falschen Freunde: "nuttig" ist nicht anrüchig, sondern "nützlich", im "verhuur" biete nsich nicht etwa Frauen feil, sondern es werden Dinge verliehen, was "verkocht" ist, wurde nicht etwa zu lange auf dem Feuer gelassen, sondern verkauft… Und dann erst die Aussprache!
“Ik wordt. Ein Puzzle.” Katalog zur Ausstellung in der “voorkamer”, Lier/Be 2013
von Erika Underwood
Ausstellungen verschwinden, Bücher bleiben
Vielleicht ist etwas riskant, für einen Projektraum in Deutschland, dessen Publikum vornehmlich Englisch spricht, ein Buch zu rezensieren, dessen Textteil vornehmlich auf Niederländisch (Flämisch)* gehalten ist. Da wir uns unter anderm hauptsächlich für Referenz interessieren, scheint dies das ideale Buch dazu (ausserdem enthält es auch Bilder und Passagen auf Deutsch, Englisch und Französisch). "Ik wordt" (in etwa "ich wird", 1. und 3. Pers. Singular zusammengeschweisst) war - d.h. ist immer noch - der Katalog zu einer Ausstellung, denn der Katalog ist noch da, doch die Ausstellung vorbei.
Johan de Wilde hatte ein Maximum an Personen - Künstler_innen und Nichtkünstler_innen - gebeten, sich über ihn bzw. seine Kunst zu äussern, in welcher Form auch immer. Die Antworten wurden in Ausstellung und Katalog veröffentlicht, Katalog und Ausstellung sind nicht deckungsgleich.
Soweit, so gut. Durch die Rezension ensteht natürlich das n-te andere Bild von Buch, Ausstellung, Bild und Künstler, deshalb
1) zitieren wir zunächst den Künstler und den von ihm zitierten Autor Georges Perec:
"Wie verhält sich 1 Kunstwerk bei anderen? Ich selbst bestehe aus einer Ansammlung von Bildern, die andere von mir haben, wodurch ich fortwährend jemand anders werde: bin ich mein Werk? Was genau macht der Betrachter beim Betrachten? Und danach? Wie entsteht ein Bild? Was sehen tausende von Besuchern der Sixtinischen Kapelle? Was erwarten sie zu sehen und warum sind sie da?
Diese und weitere Fragen stelle ich mir täglich, nicht auf der Suche nach einer Antwort: ein Mensch, der Fragen bestätigt und Bestätigungen in Frage stellt….." Johan de Wilde
"… und kaum hat man es geschafft, nach minutenlangen Versuchen und Irrtümern, oder einer wunderbaren Sekunde der Inspiration, das Teil an eins der Nachbarstücke zu reihen, verschwindet es wieder, hört auf, als Teil zu existieren…." Georges Perec
2) überlassen wir es Betrachterinnen und Lesern, sich ihr eigenes Bild von Johan de Wilde, dem reflektierten Bild und den endlosen Puzzlestücken, stets neu zusammenfügbar, zu machen.
Noch bis Ende September in der Bücherei einsehbar, es handelt sich um eine Leihgabe. Niederländisches Wörterbuch wird zur Verfügung gestellt.
* Zu glauben, NL sei für Personen dt Muttersprache leicht erlernbar, ist ein Irrtum, allein schon wegen der zahlreichen sog. falschen Freunde: "nuttig" ist nicht anrüchig, sondern "nützlich", im "verhuur" biete nsich nicht etwa Frauen feil, sondern es werden Dinge verliehen, was "verkocht" ist, wurde nicht etwa zu lange auf dem Feuer gelassen, sondern verkauft… Und dann erst die Aussprache!
Seltene Editionen (#5)
July 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
July 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Ilse Ermen / Marion Ritzmann
"PIB_FR_2012-2015"
von Erika Underwood
Anlässlich des Poststreiks eine Hommage an die Post
Glücklicherweise gibt es noch Menschen, die auf dem Postwege kommunizieren. Statt SMS ein bleibendes Stück Papier, das auch dekorativ zum Einsatz gebracht werden kann. Die Postkarte ist seit eh und je in Künstler_innenkreisen wie auch anderswo beliebt und wurde zum Kunstobjekt erhoben, die Mailart wurde ein eigenes Genre, die öde Ansichtskarte erlangte Kultstatus. Einen hervorragenden Überblick bot die Ausstellung "Arte Postale" in der Akademie der Künste zu Berlin.
PIB_FR_2012-2015 ist die Korrespondenz der Künstlerinnen Ilse Ermen und Marion Ritzmann alias PIB und FR, entstanden aus der Leidenschaft der einen für kolorierte Karten und der Mailomanie der anderen. Aus der zufälligen Eingebung entwickelt sich eine rege Korrespondenz quer durch Europa mit zunehmendem Text-Bild-Bezug, in nicht immer streng chronologischer Anordnung (man darf vor- und zurückblättern).
Das Bild dominiert: öde und unöde (kolorierte!) Ansichtskarten, Ausstellungseinladungen, Kunst- und Gratiskarten, eigene Werke und Werke von Kolleg_innen, Textkarten und gereimte Kochrezepte. Auf den Rückseiten erfahren wir auch Wichtiges über den Schweizer Posttarif und das deutsche Normformat.
Ein wunderschönes Bilderbuch für das Sommerloch, erhältlich zum Vorzugspreis von 10€ in der institutionellen Bücherei (Ackerstrasse 18 - Berlin Mitte).
"PIB_FR_2012-2015"
von Erika Underwood
Anlässlich des Poststreiks eine Hommage an die Post
Glücklicherweise gibt es noch Menschen, die auf dem Postwege kommunizieren. Statt SMS ein bleibendes Stück Papier, das auch dekorativ zum Einsatz gebracht werden kann. Die Postkarte ist seit eh und je in Künstler_innenkreisen wie auch anderswo beliebt und wurde zum Kunstobjekt erhoben, die Mailart wurde ein eigenes Genre, die öde Ansichtskarte erlangte Kultstatus. Einen hervorragenden Überblick bot die Ausstellung "Arte Postale" in der Akademie der Künste zu Berlin.
PIB_FR_2012-2015 ist die Korrespondenz der Künstlerinnen Ilse Ermen und Marion Ritzmann alias PIB und FR, entstanden aus der Leidenschaft der einen für kolorierte Karten und der Mailomanie der anderen. Aus der zufälligen Eingebung entwickelt sich eine rege Korrespondenz quer durch Europa mit zunehmendem Text-Bild-Bezug, in nicht immer streng chronologischer Anordnung (man darf vor- und zurückblättern).
Das Bild dominiert: öde und unöde (kolorierte!) Ansichtskarten, Ausstellungseinladungen, Kunst- und Gratiskarten, eigene Werke und Werke von Kolleg_innen, Textkarten und gereimte Kochrezepte. Auf den Rückseiten erfahren wir auch Wichtiges über den Schweizer Posttarif und das deutsche Normformat.
Ein wunderschönes Bilderbuch für das Sommerloch, erhältlich zum Vorzugspreis von 10€ in der institutionellen Bücherei (Ackerstrasse 18 - Berlin Mitte).
Seltene Editionen (#4)
June 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
June 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Ariane Koch / Sarina Scheidegger
"Now / This over / Over" Textband zur gleichnamigen Performance
von Erika Underwood
Die Performance über die Performance
Ariane Koch und Sarina Scheidegger haben die unterschiedlichsten Personen gebeten, kurze Erinnerungen an eine Performance niederzuschreiben, Performance im weiteren, englischen Sinne: es kann diese 1 künstlerische Performance sein, Konzert oder 1 Theateraufführung. Die Resultate werden auf je 2 Seiten des Buches wiedergegeben, je nach Länge in unterschiedlich grosser Typografie (was seinen einzigen optischen Reiz ausmacht). Texte unterschiedlicher Qualität und Inhalts, vom konventionellen, wortblasenreichen* Kunsthistorikerinnentext** bis zur kurz umrissenen Szene; der Auftritt kann eine eigener oder fremder sein, Perspektivwechsel – Schauspieler, Kritikerinnen, Künstler, Performerinnen, Journalistinnen, Autoren erinnern sich an alles Mögliche – als Kind im Rolling Stones Konzert, Untertauchen bei partizipativen Performances ("wie schaffe ich es, nicht mit einbezogen zu werden?") – genau genommen ist auch diese eine partizipative –, ausnahmsweise gute Performances, Blackout auf der Bühne (wunderbar: "Das Birkhuhn"!), und natürlich auch 1 Erinnerung an 1 Performance von Sarina Scheidegger, ach und sogar Performances im "Institut für alles Mögliche" (z.B. die von Sarina Scheidegger). Das Alles wurde im Ausstellungsraum Klingental als Performance aufgeführt (Basel, März 2013).
Sarina Scheideggers Performances (in wechselnden Kombinationen, in letzter Zeit häufig zusammen mit Ariane Koch inszeniert) sind die Erinnerung an die Erinnerung, hefeteigartig pflanzen sie sich fort (wie auch ihre Titel) – sprachgewaltig, undokumentiert, keine Fotos, keine Aufnahmen von Aufführungen, zu einer Zeit, wo die Dokumentation des Ereignisses das Ereignis ersetzt. Denn der Textband dokumentiert ja keineswegs die Performance, die aus ihm entstanden ist, sondern ist eine Erinnerungshilfe, aus der man gut eine neue Performance machen könnte, und womöglich wurde bereits eine neue daraus. Denn das Geschehen ist nicht abgeschlossen – bekanntlich ist die Existenz keine abgeschlossene Erzählung.
*nicht alle Kunsthistoriker/innen sind wortblasenreich. Der Band enthält auch entzückende Texte von Kunsthistoriker/innen.
** Ist die Rezensentin 1 phrasendreschende Kunsthistorikerin ? Wir sind keine Kunsthistorikerin, sondern 2 Schreibmaschinen, was uns nicht daran hindern muss, Phrasen zu dreschen.
"Now / This over / Over" Textband zur gleichnamigen Performance
von Erika Underwood
Die Performance über die Performance
Ariane Koch und Sarina Scheidegger haben die unterschiedlichsten Personen gebeten, kurze Erinnerungen an eine Performance niederzuschreiben, Performance im weiteren, englischen Sinne: es kann diese 1 künstlerische Performance sein, Konzert oder 1 Theateraufführung. Die Resultate werden auf je 2 Seiten des Buches wiedergegeben, je nach Länge in unterschiedlich grosser Typografie (was seinen einzigen optischen Reiz ausmacht). Texte unterschiedlicher Qualität und Inhalts, vom konventionellen, wortblasenreichen* Kunsthistorikerinnentext** bis zur kurz umrissenen Szene; der Auftritt kann eine eigener oder fremder sein, Perspektivwechsel – Schauspieler, Kritikerinnen, Künstler, Performerinnen, Journalistinnen, Autoren erinnern sich an alles Mögliche – als Kind im Rolling Stones Konzert, Untertauchen bei partizipativen Performances ("wie schaffe ich es, nicht mit einbezogen zu werden?") – genau genommen ist auch diese eine partizipative –, ausnahmsweise gute Performances, Blackout auf der Bühne (wunderbar: "Das Birkhuhn"!), und natürlich auch 1 Erinnerung an 1 Performance von Sarina Scheidegger, ach und sogar Performances im "Institut für alles Mögliche" (z.B. die von Sarina Scheidegger). Das Alles wurde im Ausstellungsraum Klingental als Performance aufgeführt (Basel, März 2013).
Sarina Scheideggers Performances (in wechselnden Kombinationen, in letzter Zeit häufig zusammen mit Ariane Koch inszeniert) sind die Erinnerung an die Erinnerung, hefeteigartig pflanzen sie sich fort (wie auch ihre Titel) – sprachgewaltig, undokumentiert, keine Fotos, keine Aufnahmen von Aufführungen, zu einer Zeit, wo die Dokumentation des Ereignisses das Ereignis ersetzt. Denn der Textband dokumentiert ja keineswegs die Performance, die aus ihm entstanden ist, sondern ist eine Erinnerungshilfe, aus der man gut eine neue Performance machen könnte, und womöglich wurde bereits eine neue daraus. Denn das Geschehen ist nicht abgeschlossen – bekanntlich ist die Existenz keine abgeschlossene Erzählung.
*nicht alle Kunsthistoriker/innen sind wortblasenreich. Der Band enthält auch entzückende Texte von Kunsthistoriker/innen.
** Ist die Rezensentin 1 phrasendreschende Kunsthistorikerin ? Wir sind keine Kunsthistorikerin, sondern 2 Schreibmaschinen, was uns nicht daran hindern muss, Phrasen zu dreschen.
Seltene Editionen (#3)
May 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
May 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Kata Mijatović und die letzten Dinge
Von Erika Underwood
Between the Sky and the Earth (Catalogue); Between the Sky and the Earth: Dreams (Booklet, in English)
Pavilion of the Republic of Croatia, 55. Esposizione Internazionale d'Arte / la Biennale di Venezia, 2013*
Die kroatische Videoperformerin Kata Mijatović arbeitet mit gesammeltem Material, vor allem, aber nicht ausschliesslich Träumen, aus denen ihre Werke entstehen. Die Träume sind selten ihre eigenen: Freundinnen, Freunde, Bekannte + Unbekannte erzählen sie, schreiben sie auf, schicken sie ein; in einemTraumarchiv werden sie gesammelt. Träume von Angst, Einsamkeit, Entfremdung, Glücksmomenten, fernen Planeten, Skurrilitäten, Banalitäten und letztendlich als Leitmotiv, vom Tod, dem eigenen und dem der anderen. Die Umsetzungen werden zu beeindruckenden Bildern, Transpositionen archaischer Motivik in zeitgenössische Medien, wovon der Katalog eine Vorstellung vermittelt. Das Textbuch allein ruft eigene Traumerfahrungen auf den Plan, man ist versucht, an Archetypen zu glauben (wovon die Künstlerin überzeugt ist).
Der Tod, ein Thema, das im Zeitalter der internetten Ersetzbarkeit gerne verdrängt wird – man sollte bloß niemandem durch Trauer die Party verderben – und in die industrieländische Kunst gerade noch als zynische Veralberung Eingang findet (Hirst). Andererseits ist aber auch der nicht konsumartikelerzeugte Augenblick des Glücks kein Thema mehr, ebenso wenig das Innehalten.
Der Tod erscheint hier weder als furchteinflössendes Memento Mori noch als Leichenfeldbetrachtung, sondern als existentielle Erfahrung; der eigene Tod als ein nicht zu fürchtendes Nichts, gar als Seligkeit ; der Tod eines Anderen als zeitgleich erlebte Traumvision, die Begegnung mit Verstorbenen.
Mijatović inszeniert das Todesmotiv auf unterscheidliche Weise: etwa als Installation mit Stuhl und Leiter in einer Art Abbruchhaus – Nichts, Leere, Übergang ("Smrt, ljestve" – "Tod, Leiter", 1995). Oder als Performance("Two Dreams", 2009): sie lässt zwei hübsche, junge Mädchen in einer Einkaufsstrasse strahle-lächelnd Flugblätter verteilen, auf diesen der Text zweier Träume vom Tod. Die Mädchen tragen T-Shirts mit dem Namen der Träumerinnen, ein weisses, ein schwarzes. Beide Träume, die man im kleinen Traumbuch nachlesen kann, erzählen von eben jener Erfahrung des eigenen Todes als glückartiges Nichtsein (als NICHTS, wohlgemerkt, ohne Engel, Auferstehungen oder Herrgötter).
* Wir geben zu, dass dies nicht wirklich eine seltene Edition ist, dafür aber das Thema. Und der Schein trügt: in einer anderen Installation (deren Name uns entfallen ist) derselben Biennale wurden die mittlerweile unbekannten Namen längst vergessener Biennale-Teilnehmer/innen aufgelistet. "Ars longa, vita brevis" gilt bekanntlich schon lange nicht mehr.
Von Erika Underwood
Between the Sky and the Earth (Catalogue); Between the Sky and the Earth: Dreams (Booklet, in English)
Pavilion of the Republic of Croatia, 55. Esposizione Internazionale d'Arte / la Biennale di Venezia, 2013*
Die kroatische Videoperformerin Kata Mijatović arbeitet mit gesammeltem Material, vor allem, aber nicht ausschliesslich Träumen, aus denen ihre Werke entstehen. Die Träume sind selten ihre eigenen: Freundinnen, Freunde, Bekannte + Unbekannte erzählen sie, schreiben sie auf, schicken sie ein; in einemTraumarchiv werden sie gesammelt. Träume von Angst, Einsamkeit, Entfremdung, Glücksmomenten, fernen Planeten, Skurrilitäten, Banalitäten und letztendlich als Leitmotiv, vom Tod, dem eigenen und dem der anderen. Die Umsetzungen werden zu beeindruckenden Bildern, Transpositionen archaischer Motivik in zeitgenössische Medien, wovon der Katalog eine Vorstellung vermittelt. Das Textbuch allein ruft eigene Traumerfahrungen auf den Plan, man ist versucht, an Archetypen zu glauben (wovon die Künstlerin überzeugt ist).
Der Tod, ein Thema, das im Zeitalter der internetten Ersetzbarkeit gerne verdrängt wird – man sollte bloß niemandem durch Trauer die Party verderben – und in die industrieländische Kunst gerade noch als zynische Veralberung Eingang findet (Hirst). Andererseits ist aber auch der nicht konsumartikelerzeugte Augenblick des Glücks kein Thema mehr, ebenso wenig das Innehalten.
Der Tod erscheint hier weder als furchteinflössendes Memento Mori noch als Leichenfeldbetrachtung, sondern als existentielle Erfahrung; der eigene Tod als ein nicht zu fürchtendes Nichts, gar als Seligkeit ; der Tod eines Anderen als zeitgleich erlebte Traumvision, die Begegnung mit Verstorbenen.
Mijatović inszeniert das Todesmotiv auf unterscheidliche Weise: etwa als Installation mit Stuhl und Leiter in einer Art Abbruchhaus – Nichts, Leere, Übergang ("Smrt, ljestve" – "Tod, Leiter", 1995). Oder als Performance("Two Dreams", 2009): sie lässt zwei hübsche, junge Mädchen in einer Einkaufsstrasse strahle-lächelnd Flugblätter verteilen, auf diesen der Text zweier Träume vom Tod. Die Mädchen tragen T-Shirts mit dem Namen der Träumerinnen, ein weisses, ein schwarzes. Beide Träume, die man im kleinen Traumbuch nachlesen kann, erzählen von eben jener Erfahrung des eigenen Todes als glückartiges Nichtsein (als NICHTS, wohlgemerkt, ohne Engel, Auferstehungen oder Herrgötter).
* Wir geben zu, dass dies nicht wirklich eine seltene Edition ist, dafür aber das Thema. Und der Schein trügt: in einer anderen Installation (deren Name uns entfallen ist) derselben Biennale wurden die mittlerweile unbekannten Namen längst vergessener Biennale-Teilnehmer/innen aufgelistet. "Ars longa, vita brevis" gilt bekanntlich schon lange nicht mehr.
Seltene Editionen (#2)
April 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
April 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Rik de Boe "Testbeelden" oder Wie verhält sich das Rätsel zur Lösung?
Von Erika Underwood
Das Testbild ist ein Begriff aus der Zeit, als nach dem Ende des Fernsehprogramms – als es noch einen Programmschluss gab und zwei bis drei staatliche Sender – eine Art Raster in unterschiedlichen Graustufen (später in Farbe) auf dem Bildschirm erschien, begleitet meist von einem unangenehmen Brummton.
"Testbeelden" ist sicher eins der eigenwilligsten und schönsten Bücher seiner Art:
Kein Ausstellungskatalog, kein Werkverzeichnis, in schlichtem Schwarzweiss ohne jegliche Effekte produziert, kompiliert aus auch im Original schwarz-weissen Zeichnungen de Boes sowie teils als Papierschnitzel lose zwischen die Seiten gefügten, teils in die Seitenfolge integrierten Allerweltsfotos: Berichterstattung, "Vermischte Meldungen", Dokumente von Kripo und Versicherungsagenturen, Urlaubs- und Familienfotos, Kinovor- und abspänne etc. Auf den Buchseiten Zeichnungen von verschlossenen Jalousien, Sehhilfen aller Art, schauenden und blickenden Personen, scheinbar beliebigen Gegenständen, dazwischen einfach Leerstellen.
Man kann hin- und herblättern, die Schnipsel herausnehmen, schauen, ob sie in eine andere Reihenfolge passen, versuchen, herauszufinden, wen oder was die Figuren sehen oder betrachten: aus dem Buch heraus? hinein? auf einen der Gegenstände? auf die Schnipsel? und wo ist der "Point of Reference"? (s. vorhergehende Rezension, R. Doubrawa), ein Inventar der Objekte erstellen, Teststreifen vergleichen und versuchen, Zusammenhänge zu finden: Wie verhält sich der Klebstreifenhalter zum Fotoentwicklungsbad? Wer sind die Personen und ist ihre Identität überhaupt von Belang?
Statt eines kunstkritischen Aufsatzes enthält das Buch einen souveränen Essai von de Boes Künstlerfreund J d W (der in dieser Serie ebenfalls auftauchen wird) – keine Interpretationshilfe wird aufgedrängt, keine Entschlüsselung der Kryptogramme geboten.
Es gilt das von Ilse Ermen in Form einer Fragestellung geprägte Motto: Wie verhält sich das Rätsel zur Lösung? Und die Antwort: Wir wissen es nicht.
Von Erika Underwood
Das Testbild ist ein Begriff aus der Zeit, als nach dem Ende des Fernsehprogramms – als es noch einen Programmschluss gab und zwei bis drei staatliche Sender – eine Art Raster in unterschiedlichen Graustufen (später in Farbe) auf dem Bildschirm erschien, begleitet meist von einem unangenehmen Brummton.
"Testbeelden" ist sicher eins der eigenwilligsten und schönsten Bücher seiner Art:
Kein Ausstellungskatalog, kein Werkverzeichnis, in schlichtem Schwarzweiss ohne jegliche Effekte produziert, kompiliert aus auch im Original schwarz-weissen Zeichnungen de Boes sowie teils als Papierschnitzel lose zwischen die Seiten gefügten, teils in die Seitenfolge integrierten Allerweltsfotos: Berichterstattung, "Vermischte Meldungen", Dokumente von Kripo und Versicherungsagenturen, Urlaubs- und Familienfotos, Kinovor- und abspänne etc. Auf den Buchseiten Zeichnungen von verschlossenen Jalousien, Sehhilfen aller Art, schauenden und blickenden Personen, scheinbar beliebigen Gegenständen, dazwischen einfach Leerstellen.
Man kann hin- und herblättern, die Schnipsel herausnehmen, schauen, ob sie in eine andere Reihenfolge passen, versuchen, herauszufinden, wen oder was die Figuren sehen oder betrachten: aus dem Buch heraus? hinein? auf einen der Gegenstände? auf die Schnipsel? und wo ist der "Point of Reference"? (s. vorhergehende Rezension, R. Doubrawa), ein Inventar der Objekte erstellen, Teststreifen vergleichen und versuchen, Zusammenhänge zu finden: Wie verhält sich der Klebstreifenhalter zum Fotoentwicklungsbad? Wer sind die Personen und ist ihre Identität überhaupt von Belang?
Statt eines kunstkritischen Aufsatzes enthält das Buch einen souveränen Essai von de Boes Künstlerfreund J d W (der in dieser Serie ebenfalls auftauchen wird) – keine Interpretationshilfe wird aufgedrängt, keine Entschlüsselung der Kryptogramme geboten.
Es gilt das von Ilse Ermen in Form einer Fragestellung geprägte Motto: Wie verhält sich das Rätsel zur Lösung? Und die Antwort: Wir wissen es nicht.
Seltene Editionen (#1)
March 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
March 2015
@ Bücherei / Ackerstraße 18 / Berlin-Mitte
Reinhard Doubrawa und die Ordnung der Dinge (Teil I)
Von Erika Underwood
Es liegt auf der Hand, dass eine Rezensionsreihe für das "Institut für alles Mögliche" mit einem Buch beginnen muss, dessen Titel ALLES ist. Reinhard Doubrawa "Alles. Beispiele und Details." – eine Art vorläufiger Werkkatalog.
Was gibt es dort zu sehen? Zunächst einmal nichts, denn die einleitende Folge von Fotografien gibt quasi beliebige Ausschnitte aus den Banalitäten des Alltags wieder (die natürlich eher etwas und nicht nichts sind). "Beispiele und Details", die Doubrawa so in eine Reihenfolge zu setzen versteht, dass das Hirn beginnt, Zusammenhänge zu konstruieren (was es, das Hirn, natürlich gern und oft tut, denn die Welt an sich hat keine Ordnung). Es geschieht zunächst also das Gegenteil dessen, was Doubrawa üblicherweise und in anderen Techniken zu tun pflegt: die Dinge aus dem Zusammenhang nehmen. "Everything is put into context" verheisst ein Graffitti auf Seite 107, womit im Falle des Graffitti in einer beliebigen Landschaft jeglicher Kontext schon gleich wieder weg ist.
Doch es geht weiter mit dem Dekonstruieren und Rekonstruieren von Zeichensystemen – was als die Lieblingsbeschäftigung des Künstlers bezeichnet werden könnte. Zeichensysteme aller Art - Embleme oder Worte, remixed in verschiedenen Techniken: Schriftschablonen, Modellbau und Zeichnung. Nachdem alles schön zerlegt wurde, wird das scheinbar Disparate in einem anderen Medium wieder zusammengebaut: Reference - Point for Perception, verkündet eine andere weitere verwirrende Schriftzeile (S.104). Von wo aus betrachten?
Ein Künstler, der sich erfreulicherweise weigert, sich auf ein leicht erkenn- und verwertbares Markenzeichen festzulegen; stattdessen dem Publikum die schwierige Aufgabe überlässt, die ungeordnete Welt selbst zu ordnen,(oder nach Belieben zu unordnen?) in der Konfrontation mit leeren Emblemen, textlosen Sprechblasen, funktionslosen Podesten, unbeschrifteten Hinweisschildern, leblosen Hotelzimmern den Boden unter den Füssen wegzieht, und einem dabei noch nicht einmal die Einfachheit repetitiver Materialien bietet: Feel secure…
Von Erika Underwood
Es liegt auf der Hand, dass eine Rezensionsreihe für das "Institut für alles Mögliche" mit einem Buch beginnen muss, dessen Titel ALLES ist. Reinhard Doubrawa "Alles. Beispiele und Details." – eine Art vorläufiger Werkkatalog.
Was gibt es dort zu sehen? Zunächst einmal nichts, denn die einleitende Folge von Fotografien gibt quasi beliebige Ausschnitte aus den Banalitäten des Alltags wieder (die natürlich eher etwas und nicht nichts sind). "Beispiele und Details", die Doubrawa so in eine Reihenfolge zu setzen versteht, dass das Hirn beginnt, Zusammenhänge zu konstruieren (was es, das Hirn, natürlich gern und oft tut, denn die Welt an sich hat keine Ordnung). Es geschieht zunächst also das Gegenteil dessen, was Doubrawa üblicherweise und in anderen Techniken zu tun pflegt: die Dinge aus dem Zusammenhang nehmen. "Everything is put into context" verheisst ein Graffitti auf Seite 107, womit im Falle des Graffitti in einer beliebigen Landschaft jeglicher Kontext schon gleich wieder weg ist.
Doch es geht weiter mit dem Dekonstruieren und Rekonstruieren von Zeichensystemen – was als die Lieblingsbeschäftigung des Künstlers bezeichnet werden könnte. Zeichensysteme aller Art - Embleme oder Worte, remixed in verschiedenen Techniken: Schriftschablonen, Modellbau und Zeichnung. Nachdem alles schön zerlegt wurde, wird das scheinbar Disparate in einem anderen Medium wieder zusammengebaut: Reference - Point for Perception, verkündet eine andere weitere verwirrende Schriftzeile (S.104). Von wo aus betrachten?
Ein Künstler, der sich erfreulicherweise weigert, sich auf ein leicht erkenn- und verwertbares Markenzeichen festzulegen; stattdessen dem Publikum die schwierige Aufgabe überlässt, die ungeordnete Welt selbst zu ordnen,(oder nach Belieben zu unordnen?) in der Konfrontation mit leeren Emblemen, textlosen Sprechblasen, funktionslosen Podesten, unbeschrifteten Hinweisschildern, leblosen Hotelzimmern den Boden unter den Füssen wegzieht, und einem dabei noch nicht einmal die Einfachheit repetitiver Materialien bietet: Feel secure…